Flugmodellbau
  Problematik
 

Stand: 03.11.2021

Artikel von Heinz Unger, Verstorben 2017

Die Problematik schwanzloser Flugzeuge mit vorgepfeilten Flügeln

 

Von Heinz Unger, Februar 2011

 

Versuche, schwanzlose Flugzeuge mit vorgepfeilten Flügeln zum erfolgreichen Fliegen zu bringen, sind weltweit offenbar nur wenige unternommen worden. Dies gilt sowohl für bemannte Flugzeuge als auch für Flugmodelle.

Bekannt geworden sind mir die Versuche von Alexander Lippisch mit seiner DFS 42 „Kormoran“ 1), von Cornelius (USA) mit seinem Lastenseglern XFG1 und dem Sportflugzeug „Mallard“ 2), von Bieliagew und seinem 20 m – Segler BP3 2), dessen Vorläufer BP2 sehr gute Flugleistungen aufgewiesen haben soll und der B11 3) der Akaflieg Berlin, entworfen von Dipl. Ing. Wolfgang Herbst, deren Bau aber nur bis zur bis zur Rohbaumontage gediehen ist. Der Weiterbau wurde wegen angeblicher Fehler in der Schwerpunktberechnung eingestellt.

Im Modellflugbereich ist mir in den frühen fünfziger Jahren des 20. Jahrhunderts in einer Veröffentlichung der Zeitschrift „Aeromodeller“ ein RC-Segler des Modellbau–Instituts Adam Stolzenberger in San Diego bekannt geworden, der vom Bauch eines Motorflugzeuges aus gestartet wurde aber offenbar nur getorkelt ist und deshalb mit einem eingebauten Landefallschirm heil zur Erde zurückgebracht werden musste. Erfolgreich dagegen verliefen die Versuche des Modellfliegers Werner Langfeld aus Tübingen, der mit einem motorisierten Modell in der Klasse N III, 1958 bei der DM in Saarbrücken, Deutscher Meister in dieser Klasse wurde. Von weiteren Versuchen dieses Modellfliegers habe ich nichts mehr gehört.

            Der Modellflieger Sepp Dollmeier aus Hof brachte zur Hangflug–DM 1960 einen vorgepfeilten Magnetsegler an den Start. Im Flug habe ich dieses Modell nicht beobachten können. Weitere Versuche dieses Modellfliegers sind mir ebenfalls nicht bekannt geworden.

            Werner Thies, Kaltenkirchen, hat ebenfalls Versuche mit kleinen vorgepfeilten Nurflügelseglern unternommen, die jedoch sämtlich misslangen. (Zeitpunkt Mitte der fünfziger Jahre)

            Als ich selbst 1957 mit eigenen Versuchen begann, waren mir die missglückten Versuche von Stolzenberger und Thies bekannt, von allen anderen Versuchen habe ich erst nach meinen erfolgreichen Versuchen erfahren. Das wesentliche Problem schien mir in der Querstabilisierung solcher Vögel zu liegen. Bei normalen Segelflugmodellen hatte ich beobachtet, dass Modelle mit einem geraden Flügelmittelteil und hochgezogenen Ohren sehr viel stabiler in der Luft lagen als Modelle mit einer einfachen V–Form der Tragflächen, die oft schaukelnde Bewegungen ausführten. So entschied ich mich gleich von Anfang an für Flügel mit geradem Mittelteil und hochgezogenen Flügelenden. Der erste Versuch misslang jedoch, weil ich im Außenflügel ein Profil mit zu großer Wölbung, also zu großem negativem cm0 –Wert verwendet habe. Die Längsstabilität war unzureichend. Aber schon das zweite Modell mit gleichem Grundriss und geschränktem Flügelmittelteil zeigte befriedigende Gleitflüge und war einwandfrei hochstartfähig. Das Grundkonzept entsprach dem 1964 entstandenen Hangflugmodell mit Magnetsteuerung (Abb. 1) Die Flügelenden habe ich, zur Verringerung der Bruchgefahr bei der Landung, zurückgezogen.

 

 

Abb.1: Modell der ersten Versuchsreihe,. Entworfen und gebaut 1964 „Flamingo“

 

            Bei späteren Entwürfen habe ich auf die Zurückziehung der Flügelenden verzichtet. Das Modell (Abb. 2) hat erste Plätze bei Wettbewerben in Deutschland und einen dritten Platz beim Europapokalfliegen 1973 in Arosa mit einer deutschen Bestzeit von 1122 sec in 5 Flügen gewonnen. Das Modell (Abb. 3), gebaut 1975, befindet sich jetzt in Händen von Manfred Rennecke und fliegt, ausgerüstet mit Elektroantrieb und RC-Steuerung noch immer4.)

 


 

Abb. 2: Modell mit neuer Tragflügelgestaltung. Entworfen und gebaut 1967.

 



 

Abb. 3: Dieses Modell ist der Nachfolger des nahezu baugleichen Modells, das 1973, beim Europa-Pokal-Fliegen in Arosa den 3. Platz erzielte. Entworfen und gebaut 1975. „Pterodactylus“

 

            Mit der Teilnahme an der Hangflugeuropameisterschaft 1986 auf der Wasserkuppe beendete ich nach über fünfzigjähriger Aktivität meine modellfliegerische Tätigkeit. Seit diesem Zeitpunkt blieb mir nur noch die Möglichkeit, mich ein wenig mit den Problemen vorgepfeilter Nurflügel theoretisch zu beschäftigen. Dabei stellte ich fest, dass fast alle Konstrukteure solcher Vögel die nötige Querstabilität mit einfacher V–Stellung der Tragflächen erzielen wollten. Aber alle diese Versuche schlugen fehl. Lediglich Alexander Lippisch brachte seine DFS 42 durch nachträgliches Aufsetzen eines getrennten Höhenleitwerks auf das Seitenleitwerk zum Fliegen. Weitere Untersuchungen auf diesem Gebiet hat er jedoch nicht unternommen.

            Versuche des Verfassers mit einem vorgepfeilten Hangflugmodell mit einfacher V–Stellung der Tragflügel, die durch biegsame Zungen variabel gestaltet werden konnten, zeigten folgende Erscheinungen: Bei zu kleiner V–Stellung stürzte der Vogel sofort über den vorlaufenden Flügel ab. Von einer bestimmten größeren V-Stellung ab, kippte das Modell nach hinten und über den vorlaufenden Flügel um dann in einen sich aufschaukelnden Flugzustand überzugehen, der schließlich auch zum Absturz führte. Ich hatte die Flügel jedoch vorsorglich im äußeren Drittel mit einer Trennstelle versehen, die es erlaubte, diese Flügelteile, durch Einbau vorbereiteter Balsakeile, mit V-Stellung an die Flügelinnenteile anzukleben, so dass nun die Flügelinnenteile waagerecht zu liegen kamen und nur die Außenteile etwa 30⁰ V-Form aufwiesen. Nach diesen Maßnahmen flog der Vogel sofort quer- und längsstabil.

            Erklärbar werden die Misserfolge mit einfacher V-Form durch folgende vektorielle Darstellung der Strömungen im Schiebezustand: 5)

 

 

Vektorielle Darstellung des Schiebezustandes.

 

Bei positivem Schiebewinkel entsteht eine Querströmung ѵq, die an der vorlaufenden Flügelhälfte eine senkrechte zur Flügelfläche wirksame Komponente +ѵH und an der zurückhängenden Flügelhälfte –ѵH hervorruft. Durch die Komponente +ѵH in Verbindung mit der zur Flügelmitte hin sich verdickenden Grenzschicht wird offenbar, wie Anstrichbilder an einem Modell der B11 6) zeigen, eine vorzeitige Strömungsablösung verursacht, während auf der zurückhängenden Flügelseite durch –ѵH der Auftrieb verkleinert wird. Da die Flügelmitte zur Längsstabilisierung beiträgt entsteht so ein schwanzlastiges Nickmoment, das möglicherweise durch Interferenzeinflüsse zwischen Flügel und dem über der Flügelmitte senkrecht stehenden Seitenleitwerk noch vergrößert wird. Diese unsymmetrischen Strömungseinflüsse der V-Form in Flügelmitte beim Schieben hat W. Herbst auch erkannt aber in ihrer negativen Auswirkung auf die Längsstabilität offenbar unterschätzt.

            Im Jahre 2008 hatte ich in dem Modellflugblatt „Thermiksense“ über meine Arbeiten an und mit vorgepfeilten Nurflügeln berichtet. Auf Grund meines fortgeschrittenen Alters von 87 Jahren suchte ich mit diesem Aufsatz Modellflieger, die Lust und Interesse besaßen, meine Arbeiten auf diesem Gebiet fortzusetzen. Gemeldet hat sich nur der Modellflieger Gunter Kirch aus Mandelbachtal im Saarland. Wie stehen seitdem in einem lebhaften brieflichen und telefonischen Gedankenaustausch. Gunter Kirch berichtete von Versuchen an negativ gepfeilten Nurflügeln, die auch schon 30 Jahre zurückreichen und sich besonders auf den Bau und Erprobung kleiner Balsa-Wurfgleiter erstreckten, die interessanter Weise nur mit kleiner, einfacher V-Stellung ausgestattet sind und dennoch stabil fliegen, wie ich selbst an 2 Modellen, die er mir im Paket zuschickte, überzeugen konnte. Beide Modelle besaßen trapezförmige Flügel unterschiedlicher Streckung aber große Seitenleitwerke, die hinter dem Flügelanschluss angeordnet waren.



Bild 4: verschiedene Balsagleiter.

            Es erhebt sich hier die Frage, wodurch wird der stabile Flugzustand herbeigeführt? Lässt das große Seitenleitwerk keinen Schiebezustand aufkommen oder treten durch das zurückversetzte Seitenleitwerk keine Interferenzstörungen zwischen Flügelmitte und Seitenleitwerk auf. Das Ganze bedarf noch der Klärung.

            Herr Kirch hat inzwischen noch einen großen RC-Elektrosegler fertigt gestellt (Abb. 5) bei dem er geknickte Flügel mit geradem Mittelteil und leicht hochgezogenen Flügelenden benutzt. Die Querruder hat er an den Flügelenden angebracht. Ich bin nun gespannt auf die ersten Flugversuche. Auch bei diesem Modell hat er das Seitenleitwerk hinter der Flügelmitte angebracht.

 


 

Abb. 5: Neueres Nurflügelmodell mit E- Antrieb. Erbaut 2010.




Abb. 6: Ein  Modell im Flug. 

            Man erkennt an den bisherigen Untersuchungen an Flugmodellen mit negativ gepfeilten Flügeln, dass diese Vögel noch eine ganze Reihe ungelöster Probleme bieten, die eine intensive Beschäftigung mit dieser interessanten Materie erfordern. Leider aber scheint das Interesse vor allem jüngeren Modellfliegern am systematischen Experimentieren nicht mehr sehr groß zu sein. Der Kauf von Fertigmodellen erspart das Denken, Entwerfen und Bauen und ist sicher auch risikoloser. Schade!!!

 

 

Benutzte Literatur:

1)      Alexander Lippisch: „Ein Dreieck fliegt“

2)      Rudolf Storck: „Flying Wings“

3)      Wolfgang Herbst: „Das schwanzlose Flugzeug mit Vorpfeilung“ Luftfahrtforschungsberichte Heft 22

4)      Heinz Unger: „Vorgepfeilte Nurflügelmodelle“ FMT 1968, Heft 3

5)       Schlichting / Trockenbrodt: „Aerodynamik des Flugzeuges“ Band II

6)      Drei- und Sechskomponentenmessungen an einem Modell 1:8 des Baumusters B11, Aerodynamische Versuchsanstalt Göttingen.

 

 
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